Berlin - Meyers Konversations-Lexikon Zweiter Band Jahr 1885.


Berlin Maßstab 1 : 31 000
Berlin (hierzu der Stadtplan, die "Karte der Umgebung von B." und die Tafel "Berliner Bauten"), die Hauptstadt des Deutschen Reichs und des Königreichs Preußen, zugleich erste Residenz des deutschen Kaisers und Königs von Preußen, ist der Sitz des deutschen Reichskanzlers und der preußischen Ministerien sowie der übrigen höchsten Behörden des Reichs, des Staats und der allgemeinen Reichs- und Landesvertretung. Von zentralen Reichs- und Landesbehörden befinden sich nur wenige nicht in B. und zwar das Reichsgericht in Leipzig, die Reichs- und Staatsoberrechnungskammer in Potsdam und ein Teil der obersten Marineverwaltung in Kiel. B. ist nach London und Paris die größte Stadt Europas. Es liegt unter 52° 30' 17'' nördl. Br. und 13° 23' 47'' östl. L. v. Gr. (Meereshöhe am Oberbaum, im O., 31,38 m, am Unterbaum, im W., 30,13 m über dem Spiegel der Ostsee), an beiden Ufern der Spree, welche die Stadt von SO. nach NW. durchfließt, sich gabelt und die Panke, welche bei Bernau entspringt, in sich aufnimmt. Links von der Spree geht oberhalb B. der neue Schiffahrtskanal ab, welcher, 10,54 km lang, durch den 20,34 km langen Luisenstädtischen Kanal mit der Spree innerhalb der Stadt verbunden ist; rechts der Spree geht unterhalb der Stadt der Spandauer Schiffahrtskanal in einer Länge von 12,05 km zu dem Ausgang des Tegeler Sees in die Havel. Die alten Festungsgräben sowie der Königsgraben sind zugeschüttet worden. Das Weichbild der Stadt umfaßt 60,61 qkm (1,068 QM.), wovon 1,81 qkm mit Wasser bedeckt ist. Der Durchmesser des städtischen Terrains von N. nach S. ist 9,3 km, von O. nach W. 10 km, der Umfang 47 km. Die mittlere Temperatur beträgt (1882) 9,8° C., die Niederschläge 761,6 mm.
Stadtteile. Öffentliche Anlagen. Monumente.
Die historischen Stadtteile sind durch die natürlichen Wasserläufe, welche jetzt aber zum Teil zugeschüttet sind, voneinander geschieden und zwar: Alt-Kölln, als Zentrum der Stadt mit dem königlichen Schloß auf der Spreeinsel, Alt-B., von gleichem Alter, mit dem Rathaus, nördlich davon gelegen Friedrichswerder und Neu-Kölln mit dem Zeughaus und der Reichsbank, ferner die Dorotheenstadt und Friedrichsstadt, die sich in der Behrenstraße scheiden, zusammen aber von der Friedrichsstraße durchzogen werden. Nördlich an die Dorotheenstadt am rechten Spreeufer stößt die Friedrich-Wilhelmstadt, welche durch die Verlängerung der Friedrichsstraße von dem Spandauer Viertel getrennt wird. Die Fortsetzung des letztern nach O. bilden die Königsstadt und das Stralauer Viertel, welches mit der Friedrichsstadt durch die Luisenstadt am linken Spreeufer verbunden ist. Diese letzten sieben Stadtteile bilden einen zweiten konzentrischen Kreis um die drei vorher genannten, welche in unmittelbarem Anschluß an den Mittelpunkt den ersten Kreis bilden. Im W., N. und S. schiebt sich sodann noch ein dritter, im O. allerdings nicht geschlossener Kreis vor, dessen Mitte von dem Tiergarten eingenommen wird. Nördlich davon liegen Moabit, Wedding und die Oranienburger und Rosenthaler Vorstadt, südlich die Friedrichsvorstadt, das Schöneberger und Tempelhofer Revier. Mit der alten Stadtmauer sind auch die Thore verschwunden bis auf eins, das Brandenburger Thor, welches von den Linden zur Chaussee nach Charlottenburg führt. Es wurde unter Friedrich Wilhelm II. von Langhans nach dem Vorbilde der Propyläen zu Athen 1789-93 errichtet, hat eine Breite von 62,5 m bei 20 m Höhe und besteht aus einem Doppelportikus von 12 dorischen kannelierten, je 14 m hohen Säulen, die fünf Durchgänge bilden: der mittelste ist nur für die Equipagen des Hofes bestimmt, die beiden auf jeder Seite daran liegenden für Fuhrwerke, während für Fußgänger neben den fünf Durchgängen ein im gleichen Stil gehaltener Säulenbau 1868 hinzugefügt ist. Die Attika trägt die in einer Quadriga stehende Siegesgöttin, 6,3 m hoch, von Schadow modelliert, von Jury und Gerike in Kupfer getrieben; diese Viktoria wurde 1807 von den Franzosen entführt, um den Triumphbogen auf dem Karussellplatz in Paris zu zieren, allein sie kam nicht zur Aufstellung und wurde 1814 zurückgebracht. Seitdem fährt sie das Viergespann (anders als vor 1807) der Stadt zu, und in die Spitze ihres adlergekrönten Stabes wurde das Eiserne Kreuz eingefügt.
Unter den 48 Brücken der Stadt ist die schönste die Schloßbrücke von den Linden zum Lustgarten, 1822-1824 nach Schinkels Entwürfen gebaut, 48 m lang, 32 m breit. Ihr Geländer wird von acht Marmorgruppen geziert, welche das Leben eines Kriegers durch antike Figuren zur Anschauung bringen (s. Tafel "Bildhauerkunst VII", Fig. 7, und VIII, Fig. 4). In andrer Art bedeutend ist die Lange oder Kurfürstenbrücke, welche, in der jetzigen Form 1692-96 erbaut, vom Schloßplatz zur Königsstraße führt, weil auf ihr das meisterhafteste Standbild Berlins steht, das des Großen Kurfürsten, von Schlüter entworfen und modelliert, von Jacobi in Erz gegossen und 12. Juli 1703 feierlich enthüllt; der Kurfürst in altrömischer Tracht sowie die vier gefesselten Gestalten, welche das Piedestal umgeben, sind von kolossaler Größe. Die übrigen ältern Brücken sind meist sehr einfach und dürftig, wohingegen die neuern, wie die Alsenbrücke am Königsplatz, die Hallesche Thor-Brücke, die Michaelsbrücke, die Schillingsbrücke u. a., mit großer Solidität ausgeführt worden sind.
Die 561 Straßen der Stadt, welchen noch beizufügen sind 22 Gassen, 25 Ufer, 5 Höfe etc., haben zusammen eine Länge von 500 km. Die schönste Straße ist die vom Brandenburger Thor nach dem königlichen Schloß führende Unter den Linden, 1004 m lang, 45 m breit, in der Mitte mit einer vierfachen Baumreihe und einer Promenade, an der Nordseite mit einem Weg zum Reiten, daneben mit Fahrwegen und Trottoirs für die Fußgänger versehen. Hier stehen das Palais des Kaisers, die Kunstakademie, das Kultusministerium, das Ministerium des Innern, die russische Botschaft, die ersten Hotels der Stadt und eine Reihe der glänzendsten Kaufläden. Von den Linden führt in einer gebrochenen Linie nach der Ecke der Friedrichs- und Behrenstraße die Passage (Kaisergalerie genannt), nach Art der Passagen in Paris und Brüssel. Die langgestreckte Friedrichsstraße durchschneidet die Stadt von N. nach S. vom Oranienburger Thor bis zum Belle-Allianceplatz und ist 3 km lang. Die Wilhelmsstraße enthält in ihrer ersten Hälfte von den Linden ab das Reichskanzlerpalais, Ministerien- und Gesandtschaftshotels. Die Leipziger Straße verbindet zwei große Plätze (Dönhofs- und Leipziger Platz). An ihr liegen: das Kriegsministerium, das Generalpostamt, das Herrenhaus, Abgeordnetenhaus, das provisorische Reichstagsgebäude und viele glänzende Neubauten. Die neuesten Straßen, welche die reichste Abwechselung des Baustils zeigen, liegen im W. zwischen der Tiergarten-, Potsdamer Straße und dem zoologischen Garten; unter ihnen zeichnen sich die Viktoria-, Bellevue-, Regenten- und Rauchstraße aus. B. zählt 65 öffentliche Plätze, von denen 7 die Bezeichnung "Markt" führen. Als die imposantesten sind zu nennen: der Opernplatz am östlichen Ende der Linden, von den prachtvollsten Gebäuden (Zeughaus, Universität, kronprinzliches Palais, Opernhaus) umgeben; der Gendarmenmarkt (in seiner Mitte, am Denkmal Schillers, Schillerplatz genannt) in der Friedrichsstadt; der Schloßplatz; der Lustgarten zwischen der nördlichen Langseite des Schlosses und dem Museum; der Leipziger Platz; der Wilhelmsplatz in der Friedrichsstadt; der Pariser Platz am Brandenburger Thor, 1880 mit Schmuckanlagen versehen; der Königsplatz (mit dem Siegesdenkmal) nordwestlich von jenem; der Dönhofsplatz an der Leipziger Straße; der Belle-Allianceplatz am Halleschen Thor, kreisförmig mit perspektivischer Einsicht in drei der längsten Straßen.
Die hervorragendste der öffentlichen Anlagen Berlins ist der Tiergarten. Er umfaßt ein Areal von ungefähr 250 Hektar. Ursprünglich ein Wald, der weit in das heutige Stadtgebiet hineinreichte, diente er später wirklich als Tiergarten für Hirsche und Schwarzwild. König Friedrich I. begann seine allmähliche Umwandlung in einen Park; die ersten Alleen wurden zu Anfang des vorigen Jahrhunderts angelegt; endlich erhielt er unter Friedrich Wilhelm III. durch Lenné im wesentlichen seine jetzige Gestalt und wurde dem Publikum übergeben. Es münden in ihn von verschiedenen Seiten neue und prächtige Straßen, schöne Alleen von alten Bäumen wechseln mit andern Baumpflanzungen, anmutige Promenaden mit Wasserpartien, Rasen- und Blumenstücken ab. Hier befindet sich das Standbild Friedrich Wilhelms III. von Drake (1849 errichtet, mit schönem Relief am Sockel; s. Tafel "Bildhauerkunst IX", Fig. 2); ihm gegenüber das Denkmal der Königin Luise von Encke (1880 errichtet); ferner in der Nähe des Brandenburger Thors das Denkmal Goethes von Schaper (1880 errichtet; s. Tafel "Bildhauerkunst X", Fig. 8). Die wichtigsten Partien im und am Tiergarten sind: das königliche Lustschloß Bellevue mit einem besondern Park, die Zelte, eine Reihe von Erfrischungslokalen, der Goldfischteich, der Floraplatz, die Luisen- und Rousseau-Insel, die Löwenbrücke etc. Neben diesem von der Natur gegebenen Park hat die Stadt mit bedeutenden Kosten einige Parke in der unmittelbaren Umgebung der Stadt geschaffen, nämlich den "Friedrichshain" vor dem Königsthor mit den Gräbern der Märzgefallenen und einer Büste Friedrichs d. Gr., und den "Humboldtshain" vor dem sogen. Gesundbrunnen (einem Stadtteil, innerhalb dessen eine früher stark frequentierte Quelle von sehr zweifelhafter Heilwirkung sich befindet). In neuerer Zeit ist ein 14 Hektar großes Gebiet bei Treptow zu einem großen Park umgewandelt worden, ferner soll am Fuß des Kreuzbergs ein Park angelegt werden.
Von den öffentlichen Monumenten, woran B. reicher als alle deutschen Städte ist, sei zunächst das 1821 für die 1813-15 gefallenen Krieger auf dem Kreuzberg errichtete erwähnt. Es erhebt sich auf einem granitenen Unterbau in gotischer Pyramidenform ca. 20 m hoch, ist nach Schinkels Entwurf aus Eisen gegossen und wurde 1878 auf Staatskosten erhöht, wodurch es an Wirkung gewonnen hat. Ein Pendant dazu bildet die am 2. Sept. 1873 eingeweihte Siegessäule auf dem Königsplatz, welche nach dem Entwurf von Strack zur Erinnerung an die drei siegreichen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 aufgeführt wurde und mit der sie krönenden Viktoria von Drake eine Gesamthöhe von 61 m erreicht. Vier auf die Kriege bezügliche Bronzereliefs zieren den mächtigen quadratischen Unterbau, auf dem sich eine runde offene Säulenhalle von 15,7 m im Durchmesser erhebt; den Kern derselben schmückt das nach dem Gemälde A. v. Werners durch Salviati in Venedig in Glasmosaik ausgeführte, 11. Nov. 1875 enthüllte Bild, welches die Verbrüderung der deutschen Stämme angesichts der drohenden Fremdherrschaft und die Proklamierung des Kaiserreichs in Versailles darstellt; darüber steigt die aus Sandstein gearbeitete Säule von 27 m Höhe und 5 m Durchmesser empor; dieselbe trägt in ihren Kannelierungen in drei Etagen übereinander eroberte Kanonenrohre aus den drei Kriegen und gewährt auf ihrer von der 8,32 m hohen Viktoria gekrönten Plattform eine umfassende Aussicht. Von ähnlichen Denkmälern sind noch die Friedenssäule auf dem Belle-Allianceplatz mit einer Viktoria von Rauch und das Nationalkriegerdenkmal im Invalidenpark zum Andenken an die 1848 und 1849 Gefallenen (1854 errichtet) zu erwähnen. Das figurenreichste Werk monumentaler Skulptur ist aber die Reiterstatue Friedrichs d. Gr. (s. Tafel "Bildhauerkunst VIII", Fig. 3) am Eingang der Linden, zwischen dem königlichen Palais und der Universität, welche, nachdem noch unter Friedrich Wilhelm III. 1840 der Grundstein gelegt worden, 31. Mai 1851, am 111. Jahrestag des Regierungsantritts des großen Königs, enthüllt wurde. Das Ganze, eins der größten Meisterwerke Rauchs, von Friebel in Erzguß ausgeführt, hat 13,2 m Höhe und 6,9 m Breite. Auf einem Granitsockel von 1,7 m Höhe erhebt sich das Fußgestell von Bronze, auf diesem der Hauptwürfel des Denkmals mit zahlreichen Statuen und Reliefbildern von Helden und andern ausgezeichneten Geistern. An den Ecken treten die Reiterfiguren des Herzogs Ferdinand von Braunschweig, des Prinzen Heinrich von Preußen, Zietens und Seydlitz' hervor. Zwischen ihnen gruppieren sich die berühmtesten Männer der Fridericianischen Epoche, und am Sockel ziehen sich die Namen vieler Kriege hin. Auf diesem Unterbau erhebt sich nun das kolossale Reiterstandbild selbst, welches den König in Uniform mit Hut und Königsmantel und dem Krückstock in der rechten Hand darstellt. - Andre Denkmäler sind die der Helden der Freiheitskriege auf dem Opernplatz, der des Siebenjährigen Kriegs auf dem Wilhelmsplatz, der Grafen Brandenburg und Wrangel auf dem Leipziger Platz, das Reiterstandbild König Friedrich Wilhelms III. (von Wolff) im Lustgarten, enthüllt beim Truppeneinzug 1871; ferner die Denkmäler von Schinkel, Beuth und Thaer (Rauchs letztes Werk) vor der frühern Bauakademie, von Schinkel, Rauch, Schadow und Winckelmann in der Vorhalle des Alten Museums, von Hegel (Kolossalbüste) hinter der Universität (Hegelplatz), das am 10. Nov. 1871 enthüllte Schillerdenkmal von R. Begas auf dem Schillerplatz vor dem Schauspielhaus, das Denkmal des Freiherrn vom Stein auf dem Dönhofsplatz (seit 1875) von Schievelbein. Die beiden großen Berliner Ärzte v. Gräfe (gest. 1871) und Wilms (gest. 1880) haben 1882-83 jeder ein Denkmal erhalten (s. Tafel "Bildhauerkunst X", Fig. 3). Über die Denkmäler in den Parken s. oben.
Bauwerke.
An gottesdienstlichen Gebäuden besitzt B. 49 evangelische, 5 katholische, 9 freie, von der Landeskirche unabhängige, 8 jüdische. Die Domkirche an der östlichen Seite des Lustgartens wurde nach dem Abbruch der alten Domkirche aus dem Schloßplatz unter Friedrich II. 1747 von Boumann erbaut, doch 1817 und 1821 unter Schinkels Leitung vielfach umgestaltet; eine große Kuppel und zwei Seitentürme die ebenfalls Kuppeln tragen, heben das 103 m lange und 41 m breite Gebäude. Die Marienkirche, ein Backsteinbau aus dem 13. Jahrh. mit einem erst 1790 erbauten Turm, einem der höchsten in B. (90 m), steht am Neuen Markte. Die Nikolaikirche, noch älter als die vorige, wurde 1880 restauriert. Die Klosterkirche, eins der vorzüglichsten Denkmäler märkischer Baukunst des Mittelalters, besitzt das Grabmal Ludwigs des Römers. Vor der französischen (1883 renoviert) und der Neuen Kirche (1882 umgebaut), welche auf dem Gendarmenmarkt einander gegenüberstehen, ließ Friedrich d. Gr. zwei ganz gleiche Türme erbauen nach dem Muster der Kirche Maria del Popolo zu Rom. Die Türme stehen mit den Kirchen in gar keinem Zusammenhang. Nach dem Vorgang der Werderschen Kirche, 1824-30 von Schinkel erbaut, ist bei den zahlreichen unter Friedrich Wilhelm IV. erbauten Kirchen der alte Ziegelrohbau wieder zu Ehren gekommen. Der bei diesen meist kleinen Kirchen zur Anwendung gekommene Baustil ist der romanische oder der byzantinische; nur die Petrikirche (mit 96 m hohem Turm) und die Bartholomäuskirche am Friedrichshain sind gotisch. Die neueste Zeit hat B. um drei schöne evangelische Kirchenbauten bereichert: die Thomaskirche von Adler auf dem Mariannenplatz bei Bethanien, die Zionskirche von Orth in der Rosenthaler Vorstadt und die Dankeskirche auf dem Weddingsplatz, zum Andenken an die zweimalige glückliche Errettung Kaiser Wilhelms aus Mörderhand (erbaut nach dem Entwurf von Orth, 1884 eingeweiht). Die (erste) katholische St. Hedwigskirche am Opernplatz ist nach dem Muster des Panthéons zu Rom gebaut. Die zweite, die St. Michaelskirche von Soller, in der Nähe der oben erwähnten Thomaskirche, romanisch, gehört auch zu den schönsten Kirchen Berlins. Die neue jüdische Synagoge in der Oranienburger Straße ist im maurischen Stil von Knoblauch erbaut. Die Kuppel ist 50 m hoch, die etwas schmale Fronte erweitert sich nach hinten bis zu 40 m bei 96,6 m Tiefe. Das Innere zeichnet sich durch großen Farbenreichtum und malerische Lichtwirkung aus. Unter einem von zwölf weißen Marmorsäulen getragenen Tabernakel ruhen in kunstvoll geschnitzter Lade die "Gesetzesrollen".
Unter den Profanbauten nimmt das Schloß die erste Stelle ein. Die vielen, zu verschiedenen Zeiten entstandenen Teile desselben begann von 1700 ab Andreas Schlüter zu einem Ganzen zu verbinden und umzugestalten. Bald folgte ihm in dieser Aufgabe J. F. ^[Johann Friedrich] v. Eosander, und bis in die neueste Zeit ist an der Verschönerung dieses Baues ununterbrochen gearbeitet worden. Er bildet ein längliches Viereck mit einem Umfang von 450 m und umschließt vier Höfe (darunter der äußere mit der Kolossalstatue des drachentötenden St. Georg). Die Fronte des Schlosses am Lustgarten ist 197 m, die am Schloßplatz 168 m, die Seite nach der Schloßfreiheit 117 m lang; die Höhe des Gebäudes mit seinen vier Stockwerken beträgt 32 m. Die Terrasse vor demselben ist unter Friedrich Wilhelm IV. angelegt; über diese Seite des Schlosses ragt die vom Straßenpflaster bis zur Kreuzesspitze 71,5 m hohe Schloßkapelle, ein Werk desselben Königs, empor. Von den fünf Portalen ist das nach der Schloßfreiheit eine Nachahmung des Septimianischen Triumphbogens. Das Hauptportal nach dem Lustgarten flankieren zwei Gruppen von Rossebändigern (Erzguß nach Modellen des Barons Clodt v. Jürgensburg; s. Tafel "Bildhauerkunst VIII", Fig. 8), Geschenke des Kaisers Nikolaus von Rußland. Das Schloß enthält gegen 600 Zimmer, Säle etc., wovon der Ritter- oder Thronsaal, die Schloßkapelle, der Weiße Saal und die Bildergalerie die bemerkenswertesten sind. Der Kaiser bewohnt ein Palais Unter den Linden, welches 1834-36 vom Oberbaurat Langhans erbaut worden ist. Der Kronprinz wohnt in dem bei Gelegenheit seiner Vermählung umgebauten Palais, welches früher König Friedrich Wilhelm III. bewohnt hatte. Dem königlichen Schloß gegenüber erheben sich das Alte und das durch einen Bogengang mit demselben verbundene Neue Museum, ersteres eine Schöpfung Schinkels, letzteres Stülers. Jenes, von 1824 bis 1828 erbaut, bildet ein längliches Viereck, 86,6 m lang, 56 m tief und mit der Kuppel 26 m hoch; eine 28,5 m breite Freitreppe führt zur Vorhalle, deren Wände mit Freskogemälden nach Schinkels Entwürfen geziert sind. Die beiden Treppenwangen sind mit Gruppen in Bronzeguß von Kiß (Amazone) und Wolff (Löwentöter; s. Tafel "Bildhauerkunst VII", Fig. 5, 6) ausgestattet. Dieses Museum ist für Gemälde und Bildwerke bestimmt, während das Neue Museum, von 1843 an errichtet und bis in die neueste Zeit ausgebaut, Gipsabdrücke, Vasen, Terrakotten, Kupferstiche und andre Sammlungen beherbergt (s. unten). Die Hauptfronte desselben hat 105 m Länge und 23,5 m Breite. Der Mittelbau umschließt das 18 m breite, 40 m hohe Treppenhaus, und an den Wänden des obern Stockwerks dieser Treppenhalle befinden sich die berühmten stereochromisch ausgeführten Wandgemälde Kaulbachs, die in sechs großen historischen Bildern die Hauptepochen der Geschichte durch entscheidende Ereignisse charakterisieren. Vor dem Alten Museum steht die berühmte, 7 m im Durchmesser haltende Gneisschale, die 1827 aus einem Teil eines der sogen. Markgrafensteine auf den Rauenschen Bergen bei Fürstenwalde verfertigt ward. Neben dem Neuen Museum erhebt sich die Nationalgalerie, aus Sandstein (nach einem Entwurf Stülers von Strack erbaut), im N. davon, jenseit der Spree, steht Schloß Monbijou (im 18. Jahrh. von J. F. ^[Johann Friedrich] v. Eosander erbaut und jetzt zu einem Hohenzollernmuseum eingerichtet) und südwestlich vom Museum, auf dem Friedrichswerder, das Zeughaus, 1695 bis 1706 nach Nehrings Plänen im Stil der italienischen Spätrenaissance errichtet. Unter den plastischen Dekorationen nehmen die Masken sterbender Krieger im innern Hof und das den ruhenden Mars darstellende Relief an der Stirnseite des obern Stockes (beides von Schlüter) die erste Stelle ein. Das Zeughaus (s. Tafel "Berliner Bauten") ist im Innern 1880-83 umgebaut, der Hof mit Glas überdeckt. Das Untergeschoß enthält 1) die Geschützsammlung (Entwickelung des Geschützwesens seit dem 14. Jahrh.), 2) eine Sammlung von Festungsmodellen und auf das Ingenieurwesen Bezügliches. Das Obergeschoß enthält eine vorzügliche Waffensammlung, die Herrscherhalle (Statuen der preußischen Regenten seit dem Großen Kurfürsten, vier Wandgemälde aus der preußischen Geschichte und allegorische Kuppelmalereien) und die Feldherrenhalle (Kolossalbüsten brandenburgisch-preußischer Heerführer). Die ganze Gegend in der Nähe des Zeughauses ist eine Sammlung größerer und kleinerer Kunstbauten, welche für Wissenschaft, Kunst und Vaterlandsverteidigung bestimmt sind. Wir nennen die Königswache, 1819 von Schinkel in der Form eines römischen Castrum erbaut; die Singakademie (von Schinkel); das Universitätsgebäude, ehemals Palais des Prinzen Heinrich, 1754-64 von Boumann (Vater) erbaut; das Akademiegebäude (1690 von Nehring erbaut, 1749 von Boumann restauriert), das der Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Künste zum Sitz dient; die königliche Bibliothek (1770-80 durch Boumann [Sohn] erbaut, mit der Inschrift "Nutrimentum spiritus"); das Opernhaus (1741-43 von Knobelsdorff erbaut, nach dem Brand von 1843 durch Langhans wiederhergestellt), 91 m lang, 32 m breit und 23 m hoch, mit den Statuen altgriechischer Dramatiker in den Blenden der Halle und einem Basrelief (von Rietschel) im Giebel; am Schinkelplatz und Werderschen Markt die Bauakademie, ein Hauptwerk Schinkels (1835 aus Backsteinen errichtet), seit Vollendung des Polytechnikums in Charlottenburg 1884 den Zwecken der Kunstakademie dienend. Das Schauspielhaus auf dem Schillerplatz, nach dem Brande des ältern (1800 gebauten) 1819-21 von Schinkel errichtet, ist 76,5 m lang, 36 m breit, mit dem oben angebrachten Bildwerk 37,5 m hoch und hat eine 26,7 m breite Freitreppe, die zu einer von sechs ionischen Säulen getragenen Vorhalle führt. In den Jahren 1883 bis 1885 wurde die Fassade mit Sandstein bekleidet. Das Innere enthält das Theater, mehrere Säle, darunter den jetzt als Foyer dienenden Konzertsaal.
Noch sind zu nennen die Kunstschule in der Klosterstraße und das Lagerhaus, das älteste Profangebäude der Stadt, mit dem sogen. Hohen Haus, wo die Markgrafen und Kurfürsten vor Erbauung des Schlosses bei ihrer Anwesenheit in B. Hof hielten (jetzt Lokalität für das Staatsarchiv und das Rauch-Museum). Unter den neuen Bauten ragen außerdem hervor: das Rathaus (von Wäsemann 1860-70 erbaut), die Börse (von Hitzig 1859-63 im Renaissancepalaststil erbaut, erweitert 1884), das neue Münzgebäude (mit einem von dem alten übernommenen Relief von Schadow), das chemische Laboratorium und die Anatomie, das physiologische Institut, die gynäkologische Klinik, die Kriegsakademie, das Haupttelegraphenamt, die Reichsdruckerei, das Hauptpostamt, das Zentralpostgebäude, die neuen Bahnhofsgebäude (das imposanteste der Anhaltische Bahnhof von Schwechten), die Reichsbank (von Hitzig, s. Tafel "Berliner Bauten") u. a. Das Rathaus, mit seiner Hauptfronte an der Königsstraße gelegen, bildet ein Viereck von 99,2 m Länge und 87,9 m Breite; die Höhe des Gebäudes bis zur Attika beträgt 27 m, über derselben erhebt sich in der Mitte der Hauptfronte ein 74 m hoher Turm mit einem stumpfen Aufsatz, der von einer Fahnenstange gekrönt wird, deren Spitze ca. 95 m über dem Straßenpflaster liegt. Das Treppenhaus und der Festsaal sind monumental ausgebildet. Die Ausführung ist in Backsteinrohbau mit Teilen von Granit und Sandstein erfolgt, während die Börse von Sandstein erbaut ist. Die Börse hat an der Hauptfassade eine Länge von 83,5 m. Der Börsensaal ist 69 m lang, 26,7 m breit und 20 m hoch.
Bevölkerung.
Die Bevölkerung Berlins hat sich in den letzten Jahrzehnten in fast beispielloser Weise vermehrt. Während dieselbe 1820: 201,900 Personen (darunter 16,071 Militär) betrug, stieg sie bis 1849 auf 410,726, 1871: 826,341, 1875: 966,858, 1880: 1,122,330. Ende August 1883 hatte B. 1,226,378 Personen (darunter 20,587 Militär). Am 1. Febr. 1885 betrug die Gesamtzahl der Bevölkerung 1,266,645.
Der Überschuß der Gebornen über die Gestorbenen in der Zeit vom August 1883 bis ebendahin 1884 war 6693, der Überschuß der Zugezogenen über die Fortgezogenen für die gleiche Zeit 10,178. Geboren wurden im Jahr 1883: 23,512 Knaben, 22,426 Mädchen, worunter 966 männliche u. 741 weibliche Totgeborne. Unehelich geboren wurden 6166, darunter 313 Totgeborne. 12,252 Eheschließungen fanden statt. Gestorben sind 18,396 männliche, 16,660 weibliche Personen.
Die Zahl sämtlicher im Weichbild Berlins belegener bebauter Grundstücke belief sich 1. Okt. 1883 auf 18,818. Seit 1877 hat sich die Zahl der kleinen und großen Wohnungen unverhältnismäßig vermehrt, während die der mittlern relativ abgenommen hat, wie folgende Übersicht zeigt:
Mietswert bis 450, 451-1350, 1351-4500, 4501 Mk. u. mehr
1877: 23,03 28,15 29,69 19,15 Proz.
1883: 26,50 26,85 27,00 20,04 "
Der Religion nach hat B. eine überwiegend evangelische Bevölkerung; die Katholiken nehmen 7 Proz., die Juden 5 Proz. derselben ein. Die evangelische Landeskirche umfaßt (1880) 972,209 Seelen und zerfällt in 5 Personalgemeinden (eine derselben bildet die französische Kolonie), 4 Superintendenturen mit 30 Parochien teils mit königlichem, teils mit städtischem Patronat. Im J. 1880 betrug die Zahl der Römisch-Katholischen 79,647, der Separatisten 10,662, der Juden 53,916.
Der Charakter der Berliner läßt sich schwer bestimmen, da im Lauf der Zeit die verschiedensten Elemente durch Zuzug von Fremden Platz gegriffen haben. Nach statistischen Berechnungen fließt in den Adern der Berliner 37 Proz. germanisches, 39 Proz. romanisches und 24 Proz. slawisches Blut. Aus dieser Mischung und den gegebenen Verhältnissen entwickelte sich mit der Zeit der eigentümliche Typus des Berliners, der all die guten und schlechten Eigenschaften der verschiedenen Nationalitäten, Rassen und Stämme in sich vereint: die Ausdauer, Zähigkeit und Gemütlichkeit des Deutschen, aber auch das Phlegma, die Schwerfälligkeit und Rechthaberei des Germanen; die Tapferkeit, Leichtlebigkeit und den Esprit des Franzosen, aber auch gallische Heißblütigkeit, Eitelkeit, Großsprecherei und Rauflust; die Anstelligkeit, Sprachfertigkeit und schnelle Fassungsgabe der Slawen, aber auch ihre Sorglosigkeit, Launenhaftigkeit und Genußsucht. Von Natur ist der Berliner gutmütig, leicht gerührt, in hohem Grad wohlthätig und unter Umständen großer Opfer fähig. Dagegen ist er ebenso leicht aufbrausend, zum Streit geneigt, rechthaberisch und spottsüchtig. Er kann keinen guten oder schlechten Witz unterdrücken; das "Nil admirari" findet unter den Berlinern zahlreiche Vertreter.
Industrie. Handel und Verkehr etc.
B. ist als Fabrik- und Handelsplatz von größter Bedeutung und liegt auch nach dieser Richtung keineswegs so ungünstig, wie dem oberflächlichen Blick eine Gründung inmitten der brandenburgischen Sandflächen erscheinen möchte. In neuerer Zeit hat sich, begünstigt durch Lage und Verbindung, durch Kapital und Intelligenz wie durch Erweiterung der Bezugs- und Absatzquellen die Industrie zu hoher Blüte entwickelt. Namentlich behauptet B. in Geweben, Eisen- und Stahlwaren sowie in den Nährgewerben einen hohen Rang. Alt ist die Wollindustrie, die sich in neuerer Zeit mächtig erweitert hat u. neue Zweige, wie Orléans, Shawls, Teppiche, Strumpfwaren u. a., umfaßt. Die früher bedeutende Seidenfabrikation hat sich neuerdings von B. zurückgezogen. Dagegen sind Färberei und Druckerei in Wollgarnen, Seide und Baumwolle sowie das Konfektions- und Modewarengeschäft äußerst wichtige Industriezweige. Der Umsatz in Damenmänteln allein wertet jährlich ca. 100 Mill. Mk., wovon ⅔ exportiert werden. Von wunderbarem Aufschwung ist ferner der Maschinenbau, in welchem jetzt über 100 Etablissements arbeiten, von denen einzelne, die von Borsig (s. d.) und Schwarzkopff (jetzt Aktiengesellschaft), weltberühmt sind. Hand in Hand mit der Berliner Maschinenfabrikation geht der Bau von Eisenbahn-, Post- und gewöhnlichen Wagen, Nähmaschinen (Frister u. Roßmann), Stahlfedern, feuerfesten Geldschränken, Chronometern, elektrischen Telegraphenapparaten (Siemens u. Halske), die Feinmechanik überhaupt sowie die Bijouterie. Sehr bedeutend ist ferner die Fabrikation von Quincaillerie, Neusilberwaren, Kautschuk- und Guttapercha-Artikeln, Seife (1884 ca. 125,000 metr. Ztr.), Chemikalien (Schering), Lackier-, Bronze-, Zinnspielwaren, Lampen, Holzarbeiten, Dachpappe, Marmorwaren, wohlriechenden Wässern und vegetabilischen Ölen, Asphalt- und Zementteer, Porzellan (die Ausfuhr von Porzellanwaren per Bahn betrug 1884: 37,690 metr. Ztr.), Öfen und andern Thonwaren (die königliche Porzellanmanufaktur, gegründet 1763), Pianofortes (die vier größten Fabriken stellten 1884 zusammen 1050 Flügel und 3041 Pianinos her) und andern musikalischen Instrumenten (insbesondere Akkordions und Melodions, worin B. die Hauptbezugsquelle des Auslandes ist), Möbeln, Papier, Tapeten, Handschuhen, Strohhüten und künstlichen Blumen sowie die Bierbrauerei. Von den 55 in B. in Betrieb befindlichen Brauereien brauten 1884: 21 Lagerbier, die übrigen Weiß-, Bitter- und Braunbier. Diese Brauereien versteuerten 491,675 metr. Ztr. Malz und zahlten dafür an Brausteuer 1,996,000 Mk. Die Produktion obergäriger Biere betrug 1883-84: 723,302 hl, die der untergärigen 1,417,605 hl. Zahlreiche Gärtnereien kultivieren nicht allein alle inländischen Gewächse (darunter eine berühmte Blumenzwiebelzucht, deren Erzeugnisse selbst als Haarlemer Zwiebeln in den Verkehr kommen), sondern auch, unterstützt von dem Akklimatisationsverein, viele ausländische, in neuester Zeit sogar hinterasiatische Pflanzen. Außerdem gehört B. zu den Hauptsitzen des deutschen Buchhandels (man zählt etwa 600 Buch-, Kunst- und Musikalienhandlungen) und der dazu gehörigen Gewerbe, als Papierfabrikation, Buchdruckerei, Lithographie, Buchbinderei u. dgl. In der Gestaltung der Berliner Industrie ist im letzten Jahrzehnt dadurch eine bemerkenswerte Änderung eingetreten, daß eine große Reihe der größern Etablissements in die Hände von Aktiengesellschaften übergegangen sind. Im J. 1882 gab es aber nur noch 189 Aktiengesellschaften, nachdem eine große Anzahl, die in leichtfertiger Weise gegründet war, mit großem Verlust für die Aktionäre ein trauriges Ende erreicht hat.
Hauptartikel des Berliner Warenhandels sind Getreide, Spiritus, Vieh, Wolle und Brennstoffe. Aus den sämtlichen fruchtreichen Ostprovinzen Preußens und aus Österreich gehen enorme Sendungen von Getreide und Hülsenfrüchten nach B., teils zu eignem Konsum, teils zum Export über Hamburg und Stettin. Der Umsatz belief sich 1884 auf 13,093 Ton. Weizen, 67,549 T. Roggen, 43,710 T. Gerste, 93,870 T. Mehl. So ist B. der Sitz einer bedeutenden Getreidespekulation, der die großen Kapitalien und Geldinstitute wie die trefflichen Lagerräume und übrigen Einrichtungen günstig sind. Auch in Spiritus rivalisiert B. mit Hamburg, obschon gerade die letzten Jahre dem Geschäft weniger günstig waren. 1884 stand einer Zufuhr von 49,5 Mill. Lit. eine Ausfuhr ins Ausland von 23,3 Mill. L. gegenüber. Der fünftägige Juni-Wollmarkt vermittelt den Hauptumsatz in feiner, mittlerer und ordinärer Wolle (1884 wurden daselbst 42,000 metr. Ztr. zum Verkauf gestellt, überhaupt (1884) 84,000 metr. Ztr. deutsche und russische Wollen und 43,000 Ballen Kapwolle). An Steinkohlen gingen 1884 zum Lager und Konsum ein 1,510,955 T. zu 1000 kg; die Einfuhr von Petroleum betrug fast 35 Mill. kg. Die Börse, täglich von 3500 Personen besucht, ist im Staatspapier- und Aktienhandel Norddeutschlands Hauptbörse, nach welcher sich Hamburg, Leipzig und Frankfurt a. M. richten. In naher Beziehung zur Börse steht die Bank des Berliner Kassenvereins (seit 1850). Die Geldoperationen werden außerdem durch die großartige Thätigkeit der Bankinstitute, voraus die Reichsbank (mit 120 Mill. Mk. eingezahltem Kapital), erleichtert; andre bedeutende Geldinstitute sind: die Diskontogesellschaft (mit 60 Mill. Mk. Kapital), die Deutsche Bank (mit 60 Mill. Mk.), Preußische Bodenkreditbank (30 Mill. Mk.), Berliner Handelsgesellschaft (20 Mill. Mk.), Nationalbank für Deutschland (20 Mill. Mk.), Zentralbodenkredit-Aktiengesellschaft (14,4 Mill. Mk.). Zu diesen Anstalten gehört auch die Königliche Seehandlung, die, ursprünglich zu überseeischem Handel und Reederei gegründet, diese Zweige aufgegeben und sich hauptsächlich auf Geldgeschäfte beschränkt hat (vgl. Banken).
Was die Beförderungsmittel anlangt, so hat B. neben einem sehr regen Schiffahrtsverkehr auf der Spree und dem Landwehrkanal jetzt 14 Eisenbahnen (Niederschlesisch-Märkische, Ostbahn, Stettiner, Nordbahn, Hamburger, Lehrter, Wetzlarer [B.-Blankenheim], Potsdam-Magdeburger, Anhaltische, Dresdener, Görlitzer, Militärbahn, die Stadtbahn und die Ringbahn). Die Stadtbahn ist 11,26 km lang, viergeleisig und wurde im Februar 1882 eröffnet; sie verbindet den Schlesischen u. den Charlottenburger Bahnhof. B. besitzt 54 Telegraphenämter, 24 Rohrpostämter und 100 gewöhnliche Postämter. Während 1880 die Stadtbriefe (einschließlich der Drucksachen und Warenproben) und Postkarten, welche zur Versendung kamen, die Höhe von 37,954,596 hatten, erreichten sie 1883 die Höhe von 45,312,730 Stück. Neben der Rohrpost und Telegraphie kommt in jüngster Zeit das Telephon immer mehr zur Geltung. Im April 1885 waren über 6000 Personen und Behörden direkt angeschlossen, während 9 öffentliche Fernsprechstellen in Thätigkeit waren.
An öffentlichen Fuhrwerken waren am 31. Jan. 1885 vorhanden: 1742 Droschken erster Klasse, 2350 Droschken zweiter Klasse, 152 Gepäckdroschken, 389 Thorwagen, 135 Omnibusse, 689 Pferdebahnwagen, welche drei Gesellschaften gehören; im öffentlichen Fuhrwesen wurden insgesamt 11,220 Pferde beschäftigt. Die Pferdebahn, die noch eine große Zukunft hat, erweitert ihr Schienennetz beständig. Befördert wurden 1883 im Omnibus 15,2 Mill., mit der Pferdebahn 70,5 Mill., mit Stadt- und Ringbahn 12,4 Mill. Personen. Die die Spree befahrenden und die nächsten Vergnügungsorte (wie Treptow, Stralau etc.) mit B. verbindenden Dampfschiffe beförderten 1883: 263,169 Personen. Eine 1884 gegründete Aktiengesellschaft, Berliner Paketfahrtgesellschaft, befördert die Pakete etc. innerhalb B. zu einem sehr geringen Preis.
Diesen großen Unternehmungen des Staats und der Privatgesellschaften kann die Kommune einige würdig an die Seite stellen, so die städtische Gasanstalt (neben der für einen geringern Umfang eine englische besteht), die städtische Wasserleitung, welche 1874 einer englischen Aktiengesellschaft für 25⅔ Mill. Mk. abgekauft worden ist, und die sich ihrer Vollendung nähernde unterirdische Kanalisierung mit Berieselung. Von ältern städtischen Instituten sind zu erwähnen: die Sparkasse, mit (1882) 13,591,809 Mk. Einzahlungen (das Guthaben erreichte einen Gesamtbetrag von 36,164,813 Mk.), und die städtische Feuersocietät, die auf einem zwangsweise auferlegten Beitritt sämtlicher Grundstücke beruht. Ein ausgezeichnetes Institut ist ferner die in ihrer Einrichtung einzig dastehende Feuerwehr (1851 durch Scabell gegründet), die 1882/83: 1,386,602 Mk. kostete und außer 11 Offizieren ein Personal von 779 Mann (mit 112 Pferden) besaß. Die Direktion hat ihren Sitz in der Lindenstraße, woselbst sich ein Turn- und Exerzierplatz befindet; daneben bestehen 6 Depots und 20 Feuerwachen. Als großartigstes städtisches Institut zeigt sich der 1881 eröffnete Viehhof mit Schlachthäusern in der Eldenaer Straße vor dem Frankfurter Thor mit einem Flächeninhalt von 38,5 Hektar. Es wurden an Schlachtvieh zu Markte gebracht 1884: 147,220 Rinder, 431,533 Schweine, 108,374 Kälber, 687,447 Hämmel; davon wurden exportiert 1884: 42,623 Rinder, 90,016 Schweine, 3000 Kälber, 416,569 Hämmel, während die übrigen Tiere in B. verzehrt wurden. Auf dem Viehhof geschlachtet wurden 1884: 93,546 Rinder, 258,538 Schweine, 75,587 Kälber, 17,585 Hämmel.
Die Armenverwaltung Berlins, welche bis zur Publikation der Städteordnung vom 19. Nov. 1808 vom Staat geführt wurde, wird jetzt von der Kommune geleitet. Es wurden für die Armenpflege im Etatsjahr 1883/84: 7,568,654 Mk verausgabt und unterstützt 15,236 Almosenempfänger mit 2,013,515 Mk., 4442 Pflegemütter für 6942 Pflegekinder mit 479,152 Mk. und für 34,343 Extra-Unterstützungen 254,032 Mk. verausgabt. 223 Knaben und 68 Mädchen waren in Zwangserziehung, 171 Gemeinde-Waisenratskommissionen mit 792 Mitgliedern und 382 Pflegerinnen waren in Thätigkeit. Die Ausgaben der Waisenpflege betrugen 681,398 Mk.
Wohlthätigkeitsanstalten besitzt B. in einem anderswo kaum gekannten Maß. Die hauptsächlichsten sind: unter Kommunalverwaltung das Friedrichs-Waisenhaus mit der großen Waisenanstalt zu Rummelsburg (hier waren 495 von den 4325 Waisenkindern, welche sich 1. April 1884 in Pflege befanden); das Friedrich-Wilhelms-Hospital in Verbindung mit verschiedenen kleinern Hospitälern und Stiftungen; das Nikolaus-Bürgerhospital (für alte Personen männlichen Geschlechts); die Wilhelminen-Amalien-Stiftung (für Frauen und Jungfrauen aus höhern Ständen). Den letztern Zweck verfolgen auch die Rother-Stiftung und das Wilhelmstift in Charlottenburg, die von höhern königlichen Beamten gegründet sind. Daneben bestehen zahlreiche Institute der französischen, katholischen und jüdischen Gemeinde, und außerdem wird eine Anzahl von Anstalten von Privatvereinen unterhalten, so ein Magdalenen-, ein Johannisstift, 2 Mägdeherbergen, ein Asyl für Obdachlose (1883 wurden 105,241 Männer und 19,917 Frauen zur Nächtigung aufgenommen), 14 Volksküchen etc. Endlich gibt es noch eine große Anzahl von Privatwohlthätigkeitsvereinen, welche die städtische Armenpflege zu ergänzen bezwecken. Eine Konzentration und Organisation der gesamten zerstreuten Wohlthätigkeit strebt der Verein gegen Verarmung an. Auch für Krankenanstalten ist ausreichend gesorgt. Die 1785 von Friedrich II. gegründete Charitee ist eins der größten Spitäler in Europa, mir einem Raum für 1450 Kranke, und steht unter dem Kultusministerium. Ihr zunächst ist das große Diakonissenhaus Bethanien zu nennen, eine Stiftung des Königs Friedrich Wilhelm IV., worin 350 Kranke Raum finden. Das große städtische Krankenhaus am Friedrichshain, 1870-73 von Gropius und Schmieden aufgeführt, ist nach dem Pavillonsystem angelegt und enthält 600 Betten. Außerdem bestehen noch: das unter dem Protektorat der Kaiserin stehende Augustahospital, das Elisabethkrankenhaus, das Lazaruskrankenhaus, das Barackenlazarett in Moabit, das katholische St. Hedwigs- und das jüdische Krankenhaus. Eine neue städtische Irrenanstalt von bedeutender Ausdehnung ist 1877 in Dalldorf bei B. erbaut. Das Invalidenhaus (seit 1748 bestehend) vermag 600 Mann aufzunehmen, doch ist diese Zahl noch nie voll gewesen. An seiner Spitze stehen ein Gouverneur und ein Kommandant, die sieben Kompanien haben je einen Chef und (1884) 14 Kompanieoffiziere.
Bildungsanstalten. Presse. Kunstsammlungen.
Unter den Lehranstalten nimmt die Friedrich-Wilhelms-Universität den ersten Rang ein; sie ist das Zentrum des wissenschaftlichen Lebens Berlins. Im Wintersemester 1883/84 hatte sie 256 Professoren und Dozenten und 4154 immatrikulierte Studierende und zwar 503 Theologen, 964 Juristen, 924 Mediziner und 1763 Philologen. An sie reiht sich die 1659 gegründete königliche Bibliothek mit 800,000 Bänden und 18,000 Handschriften. Unter ihren Raritäten befinden sich Luthers Handexemplar einer hebräischen Bibel mit eigenhändigen Randbemerkungen, der Codex Wittekindi (eine Evangelienhandschrift aus dem 8. Jahrh.), Beethovens Originalpartitur zur neunten Symphonie, die von O. v. Guerike verfertigte Luftpumpe u. a. Außerdem besteht noch eine Universitätsbibliothek, welche 1831 gegründet worden ist und jetzt 300,000 Bände umfaßt. Die technische Hochschule (Bau- und Gewerbeakademie) hatte im Wintersemester 1884/85: 574 Studierende und 313 Hospitanten, während 118 Lehrer an ihr wirkten. Die königliche Bergakademie hatte bei einer Lehrerzahl von 13 im Wintersemester 1883/84: 132 Studierende. Die königliche landwirtschaftliche Hochschule hatte im Wintersemester 1884/85: 31 Lehrer und 381 Hörer. Auf der königlichen Sternwarte, zwischen der Lindenstraße und dem Enckeplatz, fand Galle 1846 den von Leverrier in Paris berechneten Neptun. Außerdem bestehen, teils mit der Universität verbunden, teils selbständig: das chemische Laboratorium, der botanische Garten und das botanische Museum mit mehr als 100,000 Pflanzenarten, das theologische, philologisch-juristische, mathematische und historische Seminar, das christlich-archäologische Kunstmuseum, der archäologische Apparat, das kartographische Institut, das klinische Institut für Chirurgie und Augenheilkunde, das Poliklinikum, das klinische Institut für Geburtshilfe, die Anatomie (im Tierarzneischulgarten), der physiologische Apparat mit dazu gehörigem Laboratorium, die praktische Unterrichtsanstalt für Staatsarzneikunde, das anatomische, zoologische und mineralogische Museum, die pharmakologische Sammlung, die physikalische Apparatensammlung und der Universitätsgarten. B. zählt (1885) 15 Gymnasien und 1 Progymnasium, außerdem in unmittelbarer Nähe eins in Charlottenburg; sodann 8 Realgymnasien, 2 Oberrealschulen und 1 höhere Bürgerschule; ferner hat B. 10 höhere Knabenschulen, 55 höhere Töchterschulen, 213 Mittel- und Elementarschulen. Die Gymnasien besuchten 1883: 8318, die Realgymnasien 4444, die Oberrealschulen 1028, die höhern Knabenschulen 3527 Schüler, die höhern Töchterschulen 15,610 Schülerinnen, die übrigen Schulen 136,798 Schüler und Schülerinnen. Zur wissenschaftlichen Ausbildung für Damen ist das Viktoria Lyceum bestimmt, eine Art Frauenuniversität unter dem Protektorat der Kronprinzessin. Die städtischen höhern Lehranstalten werden unter der Oberaufsicht des Provinzialschulkollegiums direkt vom Magistrat verwaltet. Das gesamte Elementarschulwesen unterliegt der Aufsicht der städtischen Schuldeputation. Hieran schließen sich 42 Kleinkinderbewahranstalten und 24 Fröbelsche Kindergärten, welche alle von Privatvereinen unterhalten werden. Von höhern Lehranstalten für besondere Zwecke und Fächer sind die wichtigsten: die allgemeine Kriegsakademie (in der Dorotheenstraße 1882 von Bernhardt und Schwechten erbaut) für besonders qualifizierte Offiziere, die schon drei Jahre im Heer gedient haben und in einem dreijährigen Kursus die gesamte Kriegswissenschaft absolvieren; die Artillerie- und Ingenieurschule in der Hardenbergstraße; ferner die Militärturnanstalt, die Tierarzneischule, die königliche Hebammenschule, die königliche akademische Hochschule für ausübende Tonkunst, die Akademie für moderne Philologie. Die Akademie der Künste, 1699 gestiftet, teilt mit der Akademie der Wissenschaften Ein Gebäude (s. oben). Sie besitzt eine Kupferstichsammlung und bezweckt die Unterweisung und Ausbildung in allen Gebieten der zeichnenden und bildenden Kunst. In bestimmten Zwischenräumen seit 1786 (meist im Herbst) finden akademische Kunstausstellungen in einem provisorischen Gebäude statt. Seit 1833 ist die Akademie durch eine musikalische Sektion noch erweitert worden. Zur Förderung der Kunstindustrie wurde 1867 das Deutsche Gewerbemuseum ins Leben gerufen, aus welchem sich das Kunstgewerbemuseum entwickelt hat. Dasselbe befindet sich in einem monumentalen, 1877-81 von Gropius und Schmieden errichteten Gebäude in der Königgrätzer Straße (s. Tafel "Berliner Bauten") und enthält eine reichhaltige Sammlung von Erzeugnissen aller Zweige der Kunstindustrie; bis zur Vollendung des Museums für Völkerkunde (1886) ist in demselben auch die Sammlung trojanischer Altertümer von Schliemann, die derselbe dem preußischen Staat geschenkt hat, aufgestellt. Mit dem Museum ist eine Unterrichtsanstalt verbunden. Auch ein königliches Institut für Glasmalerei besteht seit 1843 in Charlottenburg. Das wichtigste wissenschaftliche Institut nächst der Universität ist die Akademie der Wissenschaften, in demselben Jahr gestiftet wie die Akademie der Künste. Sie ist in eine physikalisch-mathematische und eine philosophisch-historische Klasse geteilt.
Außerdem gibt es sehr viele wissenschaftliche, künstlerische und technische Korporationen und Gesellschaften. Hervorzuheben sind: mehrere medizinische Gesellschaften, der Verein naturforschender Freunde, die Gesellschaft für Erdkunde, Afrikanische Gesellschaft, der Kolonialverein, die Gesellschaft für das Studium der neuern Sprachen, die Pädagogische, die Anthropologische, die Geologische, die Deutsche Chemische, die Pharmazeutische, die Photographische, die Juristische Gesellschaft, der Berliner Gymnasiallehrerverein, der Berliner Lehrerverein, der Verein für die Geschichte Berlins (seit 1885 Vorort des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine), der für die Geschichte der Mark Brandenburg, der Verein "Herold" für Heraldik, Sphragistik und Genealogie, der Wissenschaftliche Kunstverein, die Archäologische Gesellschaft, der Verein Berliner Künstler, der Schriftstellerverein "Berliner Presse", der Verein zur Beförderung des Gewerbfleißes in Preußen, die Polytechnische Gesellschaft, der Elektrotechnische Verein, der Zentralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen, der Verein zur Beförderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts (Lette-Verein), die Militärische Gesellschaft, der Verein zur Beförderung des Gartenbaues, der Verein für Pferdezucht, der Klub der Landwirte, der Verein zur Besserung entlassener Strafgefangenen, der Missionsverein, der Gustav-Adolfs-Verein, der Protestantische Unionsverein, der Verein zur Beförderung der Verbreitung des Christentums unter den Juden, der Verein für christliche Erbauungsschriften, der Evangelische Verein (mit zwei Häusern), der Architektenverein, der Verein für Eisenbahnkunde, der Volksküchenverein, der Asylverein und der große Berliner Handwerkerverein (mit eignem Vereinshaus). Diese Vereine und Gesellschaften haben zum Teil eigne Zeitschriften, liefern Jahresberichte oder veröffentlichen die Resümees ihrer Verhandlungen in den Hauptzeitungen. Eine für das Berliner gesellschaftliche Leben besonders bezeichnende Kategorie von Vereinen sind die (liberalen) Bezirksvereine und die (konservativen) Bürgervereine, welche fast für alle Stadtgegenden bestehen und zugleich politische und gesellschaftliche Zwecke verfolgen.
Überaus groß ist die Zahl der in B. erscheinenden litterarischen Blätter. Mit Einschluß der belletristischen und fachwissenschaftlichen Organe gibt es 410 periodisch erscheinende Blätter. B. überragt in dieser Beziehung alle deutschen Städte bei weitem. Von täglich herausgegebenen Zeitungen erwähnen wir: den (offiziellen) "Preußischen Staats- und Deutschen Reichsanzeiger" und die (offiziöse) "Norddeutsche Allgemeine Zeitung", die (feudal-konservative). "Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung", die (nationalliberale) "Neue Zeitung", die (freikonservative) "Post", die (liberale) "Nationalzeitung", die "Vossische Zeitung" und das "Berliner Tageblatt" (beide deutsch-freisinnig), die (ultramontane) "Germania", die (demokratische) "Volkszeitung". Ohne bestimmte politische Parteirichtung sind: das "Fremdenblatt" und die "Tägliche Rundschau". Außerdem gibt es noch eine Anzahl von Börsenorganen, von denen das älteste und bedeutendste die "Börsenzeitung" ist; 6 Witzblätter: "Kladderadatsch", "Wespen", "Humoristische Blätter", "Schalk", "Ulk" und "Wahrheit"; mehrere Damenzeitungen und ein ausschließliches Inseratenorgan, das "Intelligenzblatt".
Unter den Kunstsammlungen nehmen die der königlichen Museen (s. oben) die erste Stelle ein. Das Alte Museum enthält im Souterrain die Bibliothek und eine Münzsammlung von 90,000 Stück in Gold, Silber und Kupfer (von denen allein 40,000 Münzen und Medaillen des Altertums sind), im ersten Stockwerk die Skulpturengalerie, welche außer der Rotunde drei größere und drei kleinere Säle füllt. Ihren wertvollsten Inhalt bilden die pergamenischen Skulpturen (s. Tafel "Bildhauerkunst III"). Die Gemäldegalerie, welche den obersten Stock einnimmt und 1877-84 im Innern vollständig umgebaut ist, umfaßt ca. 1300 Nummern und ist in zwei großen Hauptmassen auf zwei Flügel verteilt. Der westliche enthält die Gemälde der italienischen, der östliche die der niederländischen, deutschen, spanischen und französischen Schule. In der Rotunde befindet sich ein Exemplar der nach den Raffaelschen Kartons zur Apostelgeschichte in Flandern gewebten Teppiche (s. Arrazzi). Das Neue Museum enthält im Erdgeschoß eine Sammlung nordischer Altertümer und das ägyptische Museum, in welchem besonders zwei sitzende Kolossalstatuen der Könige Ramses II. (1350 v. Chr.) und Sesurtasan I. (ca. 2000 v. Chr.) und zahlreiche Sarkophage hervorzuheben sind; das zweite Geschoß eine reiche Sammlung von Gipsabgüssen antiker und mittelalterlicher Skulpturen; das dritte endlich die Vasensammlung, das Antiquarium (Hildesheimer Silberfund) und das Kupferstichkabinett, das mehr als ½ Million Holzschnitte, Kupferstiche, Handzeichnungen etc. umfaßt (Hamiltonsche Miniaturen). Diesen beiden Museen reiht sich die Nationalgalerie an. Sie ist vornehmlich für Bildwerke der modernen deutschen Kunst seit dem Ende des 18. Jahrh. bestimmt. Den Grundstock bildet die 1861 vom Konsul Wagner dem König geschenkte Wagnersche Galerie. Die beiden Hauptsäle des ersten Stockes füllen die Kartons von Peter v. Cornelius. Im dritten Stock ist die gräflich Raczynskische Gemäldegalerie aufgestellt. Die Nationalgalerie enthält ca. 700 Kunstwerke und eine reiche Sammlung von Handzeichnungen. Andre öffentliche Museen sind: das Rauch-Museum (enthält fast sämtliche Modelle, Entwürfe und Abgüsse der Rauchschen Werke); das Museum der Abgüsse aus Olympia (im Dom); das Hohenzollern-Museum im Schloß Monbijou (enthält eine Sammlung von Merkwürdigkeiten und Erinnerungen aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte und der des preußischen Herrscherhauses); das Zeughaus (s. oben); das Kunstgewerbemuseum (s. oben); das märkische Provinzialmuseum (Zweck desselben ist, die heimischen Altertümer zu erhalten und wissenschaftlichen Forschungs- wie allgemeinen Bildungszwecken dienstbar zu machen; bis jetzt 60,000 Nummern); das Beuth-Schinkel-Museum (enthält den künstlerischen Nachlaß Schinkels sowie die hinterlassene Sammlung Beuths); landwirtschaftliches Museum und Museum für Bergbau und Hüttenkunde in der Invalidenstraße; Reichspostmuseum. Im Entstehen begriffen sind: das Hygieinemuseum (Ausstellungspark in Moabit) und das Museum für Völkerkunde (Königgrätzer Straße). Unter den Privatsammlungen ist die Ravenésche, moderne Gemälde enthaltend, allgemein zugänglich. Permanente Kunstausstellungen finden an verschiedenen Orten statt.
Für die geistige Unterhaltung Berlins sorgt eine große Zahl von Theatern, Konzerten und ähnlichen Vergnügungen. An der Spitze derselben stehen die beiden königlichen Institute, Opernhaus (für Oper und Ballett) und Schauspielhaus (für das recitierende Drama), unter der Leitung eines Generalintendanten der königlichen Schauspiele. Außerdem bestehen noch 16 größere und kleinere Theater. Das 1883 eröffnete Deutsche Theater kultiviert das klassische Schauspiel und das moderne Lustspiel; das Viktoriatheater ist für Feerien und große Dekorationsstücke bestimmt. Die Spezialität des Wallner-Theaters ist die Lokalposse, Schwank und Lustspiel, die des neuen Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters und des Walhalla-Theaters die Operette, die des Residenztheaters das französische Sittendrama. In dem Krollschen Etablissement herrscht im Winter die Posse, im Sommer die Oper vor. Konzerte von größerer Bedeutung sind diejenigen des königlichen Domchors, die Symphoniekonzerte der königlichen Kapelle, die Aufführungen der königlichen Hochschule für Musik, des philharmonischen Orchesters (Philharmonie) und der früher Bilseschen Kapelle (Konzerthaus). In den Sommergärten sind Symphonie- und Militärkonzerte äußerst zahlreich und mannigfaltig. Wirkliche Volksfeste gibt es dagegen nicht mehr; der einst berühmte Stralauer Fischzug ist zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Die Popularität, welche die Pferderennen von Tempelhof früher genossen, scheinen die Rennen in Charlottenburg wiederzuerlangen, während im Hoppegarten der weitern Entfernung wegen nur die bessern Gesellschaftsklassen vertreten sind. Dagegen haben ihre alte Anziehungskraft für hoch und niedrig die Frühjahrs- und Herbstparaden auf dem Tempelhofer Feld und die Hubertusjagd im Grunewald bewahrt. Die unternehmenden Besitzer der größern Vergnügungsetablissements, wie Tivoli, Eiskeller, und diejenigen in Treptow, Schöneberg, der Hasenheide wissen übrigens in ihren Veranstaltungen den mannigfaltigsten Ersatz für die alten Volksfeste zu bieten. Unter allen Vergnügungs- und Unterhaltungslokalen steht obenan der Zoologische Garten, der nach seiner Umwandlung im Jahr 1869 durch den Reichtum seines Inhalts, den Geschmack und die Pracht seiner Einrichtungen, namentlich des Raubtier-, Antilopen- und Elefantenhauses, den ersten Rang auf dem Kontinent einnimmt. Auch das Aquarium Unter den Linden ist eine der ersten Sehenswürdigkeiten der Stadt geworden. Der königliche Botanische Garten gehört zu den bedeutendsten seiner Art in Europa; sein großartiges Palmenhaus (von Glas und Eisen, 1856 erbaut), sein großes Winterhaus, das Haus der Victoria regia und viele Gewächshäuser bewahren die exotische Flora; sein ganzer bedeutender Raum ist zur Aufnahme von Gewächsen aller Erdteile eingerichtet und enthält etwa 20,000 Pflanzenspezies. Die Flora in Charlottenburg, nach dem Muster der Kölner Flora und des Frankfurter Palmenhauses, aber viel großartiger angelegt, mit sehr schönen Gartenanlagen und Palmenhaus, dient vorzüglich zu Konzerten und Sommernachtsbällen.
Verfassung. Behörden. Finanzen.
Seit 1. April 1881 ist B. auf Grund des § 1 der Gesetzgebung über die Organisation der allgemeinen Landesverwaltung vom 26. Juli 1880 aus der Provinz Brandenburg ausgeschieden und bildet einen Verwaltungsbezirk für sich. Doch sind das Oberpräsidium, das Konsistorium, das Provinzialschulkollegium und das Medizinalkollegium der Provinz Brandenburg auch für B. als höhere Instanz zuständig. Das Polizeipräsidium ist für B. die königliche, der Magistrat die städtische Behörde. Hinsichtlich militärischer Maßnahmen haben der Oberbefehlshaber in den Marken, der Gouverneur und der Kommandant von B. Anordnungen zu treffen. Das Polizeipräsidium steht direkt unter dem Ministerium des Innern und besteht aus sechs Abteilungen (I. Allgemeines, II. Gewerbe-, III. Bau-, IV. Kriminal- und Sicherheitspolizei, V. Paßbüreau, Gesindeamt etc., VI. Markt-, Fahrpolizei etc.). Es hat die eigentliche Polizei und die Aufsicht über Fremden-, Paß-, Fuhrwerks-, Dienstbotenwesen, Feuerwehr und sonstige zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung gehörige Anstalten. Dafür steht ihm die Schutzmannschaft zu Gebote, die, zu Fuß und beritten, die gesetzliche Ordnung zu überwachen hat. Diese besteht aus 1 Oberst, 13 Hauptleuten, 136 Polizeileutnants und Kriminalkommissaren, 294 Wachtmeistern und 2971 Schutzmännern. Der Magistrat (vollziehende Behörde für die Beschlüsse der Stadtverordneten) besteht aus einem Oberbürgermeister, einem Bürgermeister, 15 besoldeten (darunter 2 Syndiken, 2 Schul- und 2 Bauräte) und 17 unbesoldeten Stadträten. Die verschiedenen einzelnen Aufgaben dieser Behörde werden durch Direktionen, Deputationen, Kommissionen und Kuratorien verwaltet, welche aus Magistratsmitgliedern, Stadtverordneten und Bürgerdeputierten bestehen. Die Stadt ist in 326 Bezirke geteilt, deren jeder einen unbesoldeten Vorsteher hat; ferner schickt sie aus 4 Wahlbezirken 9 Abgeordnete in das Abgeordnetenhaus (der Oberbürgermeister ist Mitglied des Herrenhauses) und 6 Abgeordnete aus 6 Wahlkreisen in den deutschen Reichstag. Die Zahl der Stadtverordneten beträgt 126. Die Gerichtsbarkeit über alle Einwohner haben das Landgericht I und das einzige ihm unterstellte Amtsgericht I; das erstere hat 1 Präsidenten, 16 Direktoren, 71 Richter. Die Staatsanwaltschaft besteht aus einem ersten Staatsanwalt und 12 Staatsanwalten; das Amtsgericht I hat 98 Richter. Das dem Landgericht I übergeordnete Oberlandesgericht führt den Titel Kammergericht. Zu diesem gehören 9 Landgerichte, unter andern auch das Landgericht II in B., dem die 14 Amtsgerichte zu Altlandsberg, B. II (für die Umgebung Berlins), Bernau, Charlottenburg, Königs-Wusterhausen, Köpenick, Liebenwalde, Mittenwalde, Nauen, Oranienburg, Rixdorf, Spandau, Straußberg und Zossen unterstellt sind.
Finanzen. Entsprechend dem Wachstum der Stadt und ihrer Bevölkerung, ist auch das städtische Budget angeschwollen. Es betrugen in Millionen Mark im
Jahr Einnahmen Ausgaben Schuld
1830 2,2 2,1 12,3
1842 4,5 4,5 21,3
1860 11,8 10,5 15,1
1870 17,9 17,9 24,8
1880-81 39,1 39,1 116,6
Für das Finanzjahr 1885/86 ist der Stadt-Haushaltungsetat in Einnahme und Ausgabe auf 50,974,201 Mk. veranschlagt. Zu den Einnahmen liefert die Steuerverwaltung 27,254,835 Mk. An direkten Steuern erhebt die Stadt eine Haus-, eine Miets- und eine Gemeinde-Einkommensteuer, an indirekten eine Hunde- und eine Braumalzsteuer. Unter den Ausgaben erfordern:
^[Liste]
Bauverwaltung 10967756 Mark
Schulverwaltung 9942900 "
Kapital- und Schuldenverwaltung 8764161 "
Armenverwaltung 6022307 "
Verwaltungskosten 5144902 "
Polizeiverwaltung 2975266 "
Gesundheitspflege 2451195 "
Straßenbeleuchtung und -Reinigung 1716369 "
Die Gesamtschulden der Stadt beliefen sich 1. Jan 1885 auf 149,702,575 Mk. (darunter 19,892,894 Mk. auf die Gaswerke, 37,141,732 auf die Wasserwerke, 60,367,854 Mk. auf die Kanalisationswerke und die Rieselfelder, 12,259,099 Mk. auf Vieh- und Schlachthof, 7,860,000 Mk. auf die Markthallen). 12,180,996 Mk. sogen. Kämmereischulden sind zu verzinsen und zu amortisieren.
In B. haben außer Bundesrat und Reichstag folgende elf Reichsbehörden ihren Sitz: auswärtiges Amt, Reichsamt des Innern, Admiralität, Reichsjustizamt, Reichsschatzamt, Reichseisenbahnamt, Verwaltung des Reichsinvalidenfonds, Reichspostamt, Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen, Reichsbank, Reichsschuldenkommission. Preußische Behörden sind in B.: Staatsrat, Staatsministerium (mit neun ihm unmittelbar unterstellten Behörden, darunter Zentraldirektorium der Vermessungen im preußischen Staat, Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte, Disziplinarhof für nicht richterliche Beamte, Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten, königliches Oberverwaltungsgericht) und die Ministerien der auswärtigen Angelegenheiten, der Finanzen, der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, für Handel und Gewerbe, des Innern, der Justiz, des Kriegs, für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, der öffentlichen Arbeiten; ferner der evangelische Oberkirchenrat, die beiden Häuser des Landtags.
Von Militärbehörden befinden sich in B. der Generalstab der Armee, die Landesverteidigungskommission, die Generalkommandos des Garde- und des 3. Armeekorps nebst den Stäben der Gardedivisionen und der Mehrzahl der Gardebrigaden, die Generalinspektionen der Artillerie, des Ingenieurkorps, des Militärerziehungswesens, die Inspektionen der Jäger und Schützen, des Trains, der Kriegsschulen u. a. Die Garnison besteht aus 2 Garderegimentern zu Fuß, 2 Gardegrenadierregimentern und dem Gardefüsilierregiment, 4 Gardekavallerieregimentern (Gardekürassiere, 1. und 2. Gardedragoner, 2. Garde-Ulanen) und 3 Eskadrons der Garde du Korps, den beiden Garde-Feldartillerieregimentern, dem Gardepionier- und dem Gardetrainbataillon, dem Eisenbahnregiment, dem Trainbataillon Nr. 3, den Reserve-Landwehrregimentern (1. u. 2. Berlin) Nr. 35. Außer den oben erwähnten militärischen Lehranstalten sind hervorzuheben: die Oberfeuerwerkerschule, Militärroßarztschule und Militärlehrschmiede; endlich gibt es in B. ein Proviantamt, ein Hauptmontierungsdepot und 2 Garnisonlazarette.
Das Wappen Berlins (s. Abbildung, S. 752) hat die verschiedensten Veränderungen durchgemacht, und eine nochmalige Umgestaltung ist in Aussicht genommen. Zur Zeit gilt das 1709 verliehene, welches folgendermaßen aussieht: gespalten, vorn der preußische, hinten der brandenburgische Adler, beide in silbernem Feld, unten in einer eingepfropften Spitze der schwarze Bär im silbernen Feld. Seit 1839 ist der Spitze mit dem Bären eine Mauerkrone aufgesetzt, wodurch jene gewissermaßen zu einem neuen Wappenschild geworden ist, welches auch als kleines Wappen Berlins allein geführt wird. Der Bär der Berliner Wappen hat früher fast immer in den Siegeln einen Halsring geführt, den er jedoch durch Beschluß des Magistrats 1875 verloren hat.
Umgebungen Berlins.
Die Umgebung Berlins, welche sich früher nicht des besten Rufs erfreute, ist durch die Thätigkeit der Stadt sowie Privater sehr gehoben worden. Wesentlich haben auch dazu die Verkehrsmittel, Eisenbahn, Pferdebahn und Dampfschiff, beigetragen. Bemerkenswert sind folgende Orte: im W. Charlottenburg mit der Villenkolonie Westend, ferner Spandau; aufwärts an der Havel Saatwinkel mit der Insel Valentinswerder und Tegel am gleichnamigen See, einst W. v. Humboldts Besitztum, in dessen prachtvollem Schloßpark sich das Familienbegräbnis der Humboldts befindet. Zwischen Tegel und Moabit breitet sich die Jungfernheide mit dem Artillerieschießplatz aus. Unterhalb Spandau an der Havel liegen Pichelswerder und Schildhorn, ferner Wannsee an einer seeartigen Ausbuchtung der Havel. Südwestlich von Charlottenburg zieht sich bis zur Havel die ^[richtig: der] Spandauer Forst hin, an welche sich südwärts der Grunewald anschließt. Derselbe enthält von Vergnügungsorten, die meist mit der Eisenbahn zu erreichen sind: Halensee, Hundekehle, Jagdschloß Grunewald, Krumme Lanke, Schlachtensee. Die B.-Potsdam-Magdeburger Bahn führt an Schöneberg, Friedenau, Steglitz (mit einem jetzt zur Restauration eingerichteten Schloßgarten) und Zehlendorf vorüber, die B.-Anhaltische Bahn über Lichterfelde (mit der Hauptkadettenanstalt und der Kaserne des Gardeschützenbataillons) nach Großbeeren (mit dem 6 m hohen Obelisken zum Andenken an den Sieg vom 23. Aug. 1813). Im S. der Stadt liegt die Hasenheide mit zahlreichen Vergnügungslokalen und dem Denkmal des "Vater Jahn" (von Encke), der 1811 den ersten Turnplatz hier errichtete. Sie stößt an den großen Exerzierplatz der Berliner Garnison bei Tempelhof. An der obern Spree sind Treptow, Stralau und Köpenick zu nennen, ferner Rummelsburg an dem gleichnamigen, mit der Spree zusammenhängenden See. Friedrichsfelde im O. der Stadt enthält ein Schloß (mit Park), in welchem 1813-14 König Friedrich August von Sachsen als Gefangener weilte. Im NO. liegt Weißensee, im N. Pankow und Niederschönhausen mit königlichem Lustschloß und Park, endlich Schönholz mit dem Schützenhaus der Berliner Schützengilde. In Dalldorf, östlich von Tegel, befindet sich die große Irrenanstalt.
Geschichte Berlins.
Die Entstehung Berlins findet ihre Erklärung in seiner geographischen Lage. Die nächste Verbindungslinie zwischen Oder und Elbe geht von ihren ältesten Kulturstätten, Frankfurt und Magdeburg, mitten durch B. und wird hier gerade genau halbiert. Ferner liegt B. gleichweit von Hamburg und Breslau und von Stettin und Leipzig entfernt, gerade an dem Punkt, wo die Diagonalen Norddeutschlands von Ostfriesland nach Oberschlesien, von Ostpreußen nach Luxemburg und von Memel nach dem südlichen Elsaß einander durchkreuzen. Von der Südostecke des Baltischen Meers ebensoweit entfernt wie von der Rheinmündung, von der niederländischen Grenze soweit wie von der russischen, von der Nordsee soweit wie vom mitteldeutschen Gebirge, mußte B. allmählich eine Großstadt werden. Doch blieben in den ersten Jahrhunderten seit seiner Gründung diese natürlichen Bedingungen bei B. ohne jede Wirkung. Zwischen den ältesten Ortschaften an dem Mittellauf der Spree, nämlich zwischen Spandau und Köpenick, war der bequemste Ort eines Flußübergangs die Stelle, wo der sonst zwischen versumpftem Wiesengrund sich breit hinziehende Strom ein Hindernis in einem niedrigen Sandhügel fand und denselben durch eine Gabelung zu einer Insel gestaltete. Nördlich und südlich von derselben wurde die Versumpfung der Ufer durch weitere sandige Erhöhungen verhindert. Über diese beiden schmalen Spreearme muß in der ältesten Zeit eine Verkehrs- und Handelsstraße die beiden dadurch getrennten Landschaften, Teltow im S. und Barnim im N., verbunden haben. Die ersten Spuren der Kultur gingen daher über diese drei Sandhügel, nämlich in der Mitte über den heutigen Platz an der Petrikirche im Stadtteil Alt-Kölln, im N. über den Platz an der Nikolaikirche und den Molkenmarkt im Stadtteil Alt-Berlin, im S. über den jetzigen Spittelmarkt. Die Namen jener beiden ältesten Kirchen Berlins sind für den Charakter seiner ersten Bewohner entscheidend. Petrus ist der Schutzpatron der Fischer, Nikolaus der der Schiffer und Kaufleute. Da die Fischer eher dagewesen sein werden als die Schiffer, so ist der Stadtteil Alt-Kölln, noch heute das geographische Zentrum der Stadt, auch ihr ältester Teil. Dieses Fischerdorf ist wendischen, die Schifferansiedelung in Alt-Berlin höchst wahrscheinlich schon germanischen Ursprungs. Beide Orte, wohl schon im 12. Jahrh. entstanden, erhielten unter der Regierung der Markgrafen Johann I. und Otto III. Stadtrechte, Kölln um 1232 (von Spandau her), B. um 1240 (von Brandenburg a. d. Havel). Was nun die Namen beider Städte betrifft, so hängen sie wohl mit dem Wasser und den natürlichen und künstlichen Einrichtungen an seinem Ufer zusammen. "Berlin" ist höchst wahrscheinlich auf "Wehr" (Damm) zurückzuführen und der Bär als Wappentier erst nachträglich wegen des ähnlichen Wortklanges gewählt worden. "Kollen" bezeichnet nach der Sprache der Wenden einen aus Sumpf und Wasser sich erhebenden Hügel. Erst 1307 wurden beide Städte unter dem Markgrafen Hermann zu einer einzigen Stadt mit gemeinschaftlicher Kommunal- und Gerichtsverfassung vereinigt. Schon 1308 entbot B. die mächtigsten Städte der Mittelmark zu sich, um mit ihnen über die Aufrechthaltung des Landfriedens zu beraten. So legte es den Grund zu einem Städtebund in der Mark, an dessen Spitze es durch seine Lage naturgemäß treten mußte. Die Bundesversammlungen fanden bald regelmäßig nur in B. statt, und von hier aus entwickelte sich dann auch jene oppositionelle Richtung gegen die freilich nur schwachen und oft wechselnden Landesregierungen nach dem Aussterben der Askanier. B. war es, welches als Vertreterin des märkischen Städtebundes die Verbindung mit der mächtigen nordischen Hansa bewirkte, und in dessen Mauern auch die Landstände der Mark Brandenburg bald auch von jenseit der Elbe und der Oder zusammenkamen und tagten. Schon 1319 hatte die Stadt das Münzrecht und 1392 die Blutgerichtsbarkeit erworben.
Die Unabhängigkeit Berlins hat erst Friedrich II., der Eiserne, der zweite Hohenzoller in der Mark, gebrochen. Er benutzte 1442 einen Zwiespalt zwischen dem aristokratischen Rat und der Bürgerschaft, erschien, von der letztern gerufen, in der Stadt, beseitigte den alten Rat und die selbständige Gerichtsbarkeit, führte die Trennung beider Städte herbei, setzte ein neues Regiment ein, machte die Wahl neuer Ratsglieder von seiner Bestätigung abhängig und verbot alle Bündnisse der Städte innerhalb und außerhalb des Landes. Eine lange Widersetzlichkeit der gesamten Bevölkerung gegen eine solche nicht erwartete neue Ordnung der Dinge artete bis zur offenen Fehde ("Berliner Unwille") aus, in der B., von den übrigen mit gleichem Schicksal bedrohten Städten verlassen, 1448 besiegt wurde. Die Strafe war Verlust der Mühlen, des Zolles und der Niederlage. Was die Hansestadt B. als den schwersten Schimpf ertragen mußte, den Bau der kurfürstlichen Burg durch ihren Besieger an der Stelle, wo noch heute das kaiserliche Schloß steht, gerade das war wiederum die ergiebigste Quelle zu weiterer Blüte. Denn B. war nun und blieb die Residenz der Hohenzollern. Es wurde bald eine treue Stütze der Monarchie, von deren Schicksalen seine weitere Entwickelung abhängen mußte. Eine dauernde Hofhaltung führte zuerst Johann Cicero in Berlins Mauern ein. Joachim I. gründete das Kammergericht 1516, durch welches das römische Recht in der Mark weitere Verbreitung fand. Joachim II., mit dem B. 1539 die lutherische Reformation annahm, reformierte das Kirchen- und Schulwesen, gründete ein evangelisches Konsistorium und baute die noch aus dem 13. Jahrh. stammende Dominikanerkirche (auf dem heutigen Schloßplatz) zu einer Dom- und Gruftkirche für das Herrscherhaus um. Seit 1539 war eine Buchdruckerei in B., Maler, Tonkünstler, Baumeister und Bildhauer wurden herangezogen. Unter Joachim II. begann auch 1538 der Um- oder Neubau des königlichen Schlosses in Kölln, ein Werk, das unter dem Großen Kurfürsten fortgeführt, unter den Königen Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. aber zu seiner gegenwärtigen Vollendung gebracht wurde. In die Regierungszeit Johann Georgs (1571-98) fallen die erste Bebauung des Werders in der Nähe des königlichen Schlosses, die Errichtung der ersten lateinischen Schule (1574 in dem aufgehobenen Franziskanerkloster) sowie die Niederlassung vieler geschickter Handwerker und Künstler aus den Niederlanden. Auch der kurfürstliche Leibarzt Leonhard Thurneysser beschäftigte in weitläufigen Anstalten viele Maler, Formschneider, Zeichner und Drucker. Die Einwohnerzahl von B. und Kölln war um jene Zeit immer noch ziemlich unbedeutend, sie überstieg bis zu Ende des 16. Jahrh. selten 12,000. Der 1613 erfolgte Übertritt des Kurfürsten Johann Siegmund zum reformierten Bekenntnis hatte in B., dessen Bevölkerung von fanatischen Geistlichen aufgehetzt wurde, mehrere Aufläufe zur Folge, in deren einem (1615) sogar der Statthalter, Markgraf Johann Georg von Jägerndorf, verwundet wurde. Sehr hart war das Schicksal Berlins während des Dreißigjährigen Kriegs. Mißwachs und Teurung, Stockung der Gewerbe und des Verkehrs, ansteckende Krankheiten, kurfürstliche Kontributionen, Brandschatzungen der Kaiserlichen und Schweden brachten die Städte an den Rand des Verderbens. Am 15. Nov. 1627 traf Wallenstein in B. ein, worauf mehrere kaiserliche Regimenter einquartiert wurden. Am 4. Mai 1631 zog Gustav Adolf mit 200 Mann in die Stadt ein und wohnte auf dem Schloß, wo er am 5. einen Vertrag mit dem Kurfürsten abschloß, um am 6. über Potsdam weiter zu marschieren. Als der Kurfürst auf Anraten des Staatsministers Grafen Schwarzenberg die Vertragsbedingungen wieder aufheben wollte, griff Gustav Adolf 8. Juni B. an; aber am 11. wurde ein Vergleich geschlossen, worauf der König mit seinem ganzen Heer durch die Stadt auf das andre Spreeufer rückte. Im J. 1634 wurde sie für kurze Zeit von den Kaiserlichen besetzt, und nach dem Prager Frieden rückte 1636 ein schwedisches Korps unter Wrangel in B. ein und legte eine Kontribution auf. Im J. 1638 wurde B.-Kölln mit Schanzen und andern Werken umgeben; trotzdem nahm aber die Not immer mehr zu, viele Häuser standen leer, und Seuchen rafften die Bewohner in Menge hin. Während dieser traurigen Zeit rissen unter dem Bürgerstand unsittlicher Lebenswandel, Roheit des Benehmens und maßlose Völlerei ein. Beide Residenzen zählten damals nur noch 6000 Einw., die Vorstädte waren eingeäschert, das Schloß in verfallenem Zustand. In B. selbst, wo nur noch 800 Häuser standen, waren diese meist einstöckig und mit Stroh gedeckt wie Hütten, viele Strecken waren unbebaut, die Straßen größtenteils nicht gepflastert, die Brunnen nur Ziehbrunnen, die Brücken sehr baufällig, und vor sehr vielen Wohnungen waren Schweineställe angebracht.
Unter solchen Verhältnissen und bei so großer Indolenz der Bürger selbst übernahm Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, die Regierung, und von ihm datiert wie die Größe der preußischen Monarchie, so auch der Glanz der Residenzstadt B. Von 1650 ab begann sein rastloses Wirken für die Hebung seiner Residenz. Zuerst sorgte er für die Pflasterung und Beleuchtung der Straßen, dann wurden Maßregeln für die Bebauung der wüsten Stellen getroffen, alle kurfürstlichen Gebäude und Anlagen wiederhergestellt und der Lustgarten, ein Park im holländischen Stil, mit Lusthaus und Orangerie angelegt. Von Privatbauten entstanden die Palais Derfflingers (am Kölnischen Fischmarkt), Schombergs (jetzt kronprinzliches Palais), Danckelmanns (in der Kurstraße). Die Verfolgungen der Protestanten in Frankreich, die Aufhebung des Edikts von Nantes, verbunden mit dem Potsdamer Edikt vom 29. Okt. 1685, führten eine Menge betriebsamer und gewerbfleißiger Franzosen nach B., denen sich 1689 und 1697 auch viele Pfälzer und Schweizer anschlossen. Dadurch aber wurde eine bedeutende Erweiterung der Städte notwendig. Schon 1658 begann die Vergrößerung der Anlagen auf dem Werder; 1670 fing man an, die Spandauer Vorstadt auszubauen, welche unter Friedrich I., vorzüglich aber unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. erweitert und verschönert wurde; 1674 entstand eine neue Vorstadt vor dem neuen Thor des Friedrichswerders, seit 1676 von ihrer Gründerin, der Kurfürstin Dorothea, gebornen Prinzessin von Holstein, Dorotheenstadt genannt. Seit 1680 wurden die übrigen Vorstädte und Neu-Kölln angelegt. Ein Zeitraum von noch nicht 40 Jahren reichte hin, um B. herrlicher als je zuvor aus der Zerrüttung des Dreißigjährigen Kriegs hervorgehen zu lassen. Die Einwohnerzahl war beim Tod Friedrich Wilhelms (1688) bereits auf 20,000 gestiegen. Ein Lieblingsplan des Großen Kurfürsten war die bereits während der Kriegsjahre angefangene Befestigung der Städte, woran (seit 1658) 25 Jahre gearbeitet ward. Der damals aus der Spree abgeleitete Festungsgraben umgab B. und Kölln in zwei Abteilungen; die eine ging rechts aus dem Hauptstrom bei der Stralauer und mündete in denselben bei der Herkulesbrücke; die andre Hälfte begann oberhalb der Waisenhausbrücke und ging um Kölln und den Werder in den Kupfergraben. Der Friedrichswerder und Neu-Kölln, außerhalb des Festungsgrabens in die Verteidigungslinie eingeschlossen, wie die sich hier findenden Namen Ober- und Niederwallstraße bezeugen, verdanken dieser Befestigung ihren Ursprung. Dieselbe hatte jedoch keinen langen Bestand, und es wurde schon unter Friedrich Wilhelm I. mit ihrer Beseitigung begonnen, wobei man es versäumte, zwischen der neuern Stadt und den Vorstädten breite Straßenzüge anzulegen und sie durch weite Zugänge zu verbinden. Der Friedrichswerder bildete einen eignen, von der Jurisdiktion der beiden Städte unabhängigen Stadtteil, welcher schon 1667 einen eignen Magistrat erhielt.
Friedrich III. (als König Friedrich I.) beschloß 1688 den Anbau der Friedrichsstadt, und bereits 1695 standen 300 Gebäude nach einem bestimmten Plan, der durch Friedrich Wilhelm I. zu dem gegenwärtigen Umfang erweitert wurde. Zu den bedeutenden Bauten König Friedrichs I. gehören außerdem: das Zeughaus, das seitdem mehrfach umgestaltete Akademiegebäude, die Kurfürstenbrücke, die frühere Werdersche Kirche, die frühere Bank, die Sternwarte, die Kirchen auf dem Gendarmenmarkt, die Garnisonschule u. a. Um den Hof scharten sich einheimische und fremde Gelehrte und Künstler; damit aber Künste und Wissenschaften wirksamer für das Allgemeine würden, stiftete Friedrich I. 1699 die Maler- und Bildhauerakademie und 1700 nach Leibniz' Entwurf die Akademie der Wissenschaften. Sein glänzender Hof erzeugte auch unter den Bürgern Luxus und Vergnügungssucht. Selbst in den Kleidertrachten huldigte man der am Hof herrschenden französischen Mode; Kaffeehäuser wurden angelegt und Schauspiele zuerst 1690 von den Truppen Sebastian Scios und des sächsischen Hofkomödianten Magister Feldheim im Rathaus aufgeführt und vom Volk stark besucht, obgleich die Geistlichkeit vielfach dagegen eiferte. Unter Friedrich I. wurden auch die bisher getrennten und von besondern Magistraten verwalteten Stadtteile 1709 zu einem Ganzen vereinigt und einem Magistrat (bestehend aus 4 Bürgermeistern, 2 Syndiken, 1 Ökonomiedirektor, 1 Einnehmer, 1 Kontrolleur und 10 Ratsherren, deren Amt ein Jahr währte und vom König besetzt wurde) untergeordnet. Die Einzelbenennungen Kölln, Friedrichsstadt u. a. gingen seitdem in dem Gemeinnamen B. unter.
Während der Regierung Friedrich Wilhelms I., der zuerst seine Edikte nicht von Kölln an der Spree, sondern von B. datierte, wurden das Friedrich-Wilhelms-Waisenhaus, mehrere Kirchen, das anatomische Theater gegründet, der Schloßbau bis 1716 größtenteils vollendet und der Lustgarten um dieselbe Zeit in einen Exerzierplatz umgewandelt. Vornehmlich aber ist die Friedrichsstadt vorzugsweise von diesem König gefördert worden. Eine Generalvisitation 1725 stellte heraus, daß es neben 719 bewohnten Häusern 149 wüste Stellen dort gab, und da letztere verschwinden sollten, so wurden neue Häuser, teils auf Kosten des Königs, teils durch Privatleute auf königlichen Befehl, gebaut. Schon 1737 gab es 1682 Häuser in der Friedrichsstadt, deren Vergrößerung der König bei seinem Aufenthalt in B. immer persönlich überwachte. Für Kirchenbauten geschah ebenfalls viel: die alte Garnisonkirche und die Petrikirche wurden neu aufgebaut; dann erhoben sich die böhmische und die Dreifaltigkeitskirche. Für das Schulwesen waren die Anlage der frühern Gebäude des Joachimsthalschen Gymnasiums und die Gründung einer Kadettenschule von Bedeutung. Ferner wurde der botanische Garten der Akademie (jetzt der Universität) angelegt und im NW. der Stadt ein Pesthaus errichtet, an dessen Stelle Friedrich II. 1785 die später so berühmt gewordene Anstalt der Charitee erbaute. Im J. 1740 bestanden außer den schon 1709 eine Stadt bildenden fünf Städten noch die Luisenstadt, das Stralauer Viertel, die Königsstadt, die Sophienstadt, mit einer Bevölkerung, die jedoch noch nicht ein Zehntel der jetzigen betrug.
Unter Friedrich d. Gr. wurde noch vor dem Siebenjährigen Krieg der Tiergarten zu einem Park umgestaltet, erfolgte die Abtragung der noch vorhandenen Befestigungswerke (1745), an deren Stelle die Neue Friedrichsstraße, Alexanderstraße und Wallstraße traten. Der Siebenjährige Krieg brachte mehrmals feindliche Heere in die Stadt. So drang 1757 der österreichische General Hadik, der erste Feind seit dem Dreißigjährigen Krieg, in die Vorstädte ein und erpreßte eine Kontribution von 200,000 Thlr. Darauf (1760) beschossen die Russen die Stadt vom Tempelhofer Berg aus, drangen 9. Okt. in dieselbe ein und brandschatzten sie auf die härteste Weise. Nach dem Frieden fanden sich von den 1755 vorhandenen 126,661 Einw. nur noch 98,000 vor, wovon überdies ein großer Teil öffentlicher Unterstützung bedurfte. Friedrich d. Gr. suchte durch Wiederaufnahme der Bauten und Belebung der Industrie zu helfen. Es wurden aus königliche Kosten großartige Seidenfabriken, Webereien und Druckereien für Kattun u. a. angelegt, während die schon 1751 vorhandene Porzellanmanufaktur eine bedeutende Erweiterung und Vervollkommnung erhielt. Zeitgemäße Reformen der städtischen Genossenschaften und Innungen unterstützten den Vertrieb der gesteigerten Produktion. Die Häuserzahl wuchs von 1750 bis 1786 um 510 massive und solide Baue, die Bevölkerung stieg bis nahe an 150,000. Dieser Zuwachs machte die Anlegung der Rosenthaler und Erweiterung der Stralauer Vorstadt nötig. Zur Verschönerung der Stadt trugen die beiden Türme auf dem Gendarmenmarkt bei, ferner die Marmorstandbilder der preußischen Helden Schwerin, Winterfeld, Keith und Seydlitz auf dem Wilhelmsplatz, wozu später 1797 von Schadows Hand noch die weit geschmackvollern des alten Dessauers und Zietens kamen, das Opernhaus, das Schauspielhaus und eine Menge andrer öffentlicher Bauten, so daß nun die Residenz auch in ihrem Äußern, namentlich in der Gegend der Linden, sich andern Hauptstädten Europas würdig zur Seite stellte. Damals war B. der Sammelplatz der französischen Schön- und Freigeister, eines d'Argens, Voltaire, Lamettrie u. a.; aber auch Lessing, Moses Mendelssohn, Ramler, Gleim, Engel hielten sich größtenteils in B. auf, der vielen als Schriftsteller ausgezeichneten Staatsmänner nicht zu gedenken. Die Akademie der Wissenschaften wurde nach französischem Zuschnitt umgeformt und für die königliche Bibliothek ein besonderes Gebäude errichtet. Von den unter Friedrich Wilhelm II. gemachten großen Ausgaben diente ein nicht unbedeutender Teil zur Verschönerung der Residenz. Namentlich ist das Brandenburger Thor hervorzuheben, über dessen Geschichte das S. 753 Gesagte zu vergleichen ist.
Während des letzten Dezenniums des 18. Jahrh. hob sich, begünstigt durch die französische Revolution, namentlich die Seidenzeugfabrikation in solchem Grade, daß B. den Bedarf für das nördliche Europa lieferte und durchschnittlich 4000 Stühle beschäftigte, welche Zahl später auf die noch immer bedeutende von 2000 herabsank. Auch die artistischen und litterarischen Verhältnisse der Stadt erlangten von Tag zu Tag eine größere Bedeutsamkeit. Anstalten wie die Tierarzneischule, die Artillerieakademie, das medizinische Friedrich-Wilhelms-Institut wirkten auf den gesamten Staat zurück. Noch größer wurden die Fortschritte Berlins seit dem Anfang des 19. Jahrh., und selbst die unglücklichen Kriegsschicksale von 1806 an vermochten sie nur auf kurze Zeit zu hemmen. Aber die Zeit der Schwäche und Erniedrigung brachte für B. zwei unschätzbare Kleinode, 1808 die Städteordnung und 1810 die Universität. Als Preußen sich 1813 gegen Frankreich erklärte, opferte B. freudig Gut und Blut zur Abschüttelung des fremden Joches. Mit Jubel empfing man im März die Russen. Beinahe wäre die Stadt später wieder eine Beute der Franzosen geworden, nur die glorreichen Siege bei Großbeeren und Dennewitz wendeten den unheildrohenden Besuch ab. Nach 1816 begann von neuem die Verschönerung Berlins durch Prachtgebäude und Denkmäler aller Art. Schinkel war es, dem die bedeutendsten Bauten der Stadt übertragen wurden. Sein erstes größeres Werk war das neue Schauspielhaus, das an Stelle des ältern abgebrannten 1819-1821 errichtet ward; dann folgten das Museum, die Königs- oder Neue Wache, die Schloßbrücke, die Werdersche Kirche, die Bauakademie, die bisherige Artillerie- und Ingenieurschule. Außer bei diesen Bauten ist aber Schinkels Einfluß noch bei vielen Privatgebäuden, Villen, den Restaurationen der prinzlichen Palais etc. sichtbar. In den Jahren 1834-36 entstand das Palais des jetzigen Kaisers Wilhelm unter Leitung des Oberbaurats Langhans. Eine andre Verschönerung der Stadt unter Friedrich Wilhelm III war die Aufstellung der Standbilder Blüchers, Scharnhorsts und Bülows nach Rauchs Modellen (1822-26) am Opernhausplatz, und der König schloß eben seine Augen, als der Grundstein zum Friedrichsdenkmal gelegt worden war. Wie Schinkel in der Baukunst, so war es Rauch, dessen Name sich an diese großen Monumente knüpft. Für die Umgegend der Stadt wurde von dem nicht minder berühmten Gartenbaudirektor Lenné der Tiergarten gänzlich in einen englischen Park umgewandelt. Die erste Eisenbahn von B. nach Potsdam datiert ebenfalls aus dieser Regierung (eröffnet 29. Okt. 1838).
In gleicher Weise und mit eignem großen Kunstsinn hat Friedrich Wilhelm IV. gewirkt; unter seiner Regierung entstanden das neue Opernhaus, das Neue Museum, das Krollsche Gebäude am jetzigen Königsplatz, viele Kirchen und Kapellen, Bethanien, das katholische Hedwigskrankenhaus, die Kaserne auf der Chausseestraße, die Ulanenkaserne zu Moabit, das Zellengefängnis ebendaselbst; ferner wurden die Friedenssäule auf dem Belle-Allianceplatz, die Standbilder Yorks und Gneisenaus am Opernplatz, Thaers an der Bauakademie, das Denkmal Friedrich Wilhelms III., endlich das großartige Reiterdenkmal des großen Königs vollendet und eingeweiht; das National-Kriegerdenkmal im Invalidenpark ist das letzte Werk dieser Art. Ganz neue Stadtviertel sind seitdem errichtet worden, die Friedrich-Wilhelmsstadt und die Friedrichsvorstadt schlossen die zwölf historischen Bestandteile der Stadt ab, so, wie sie mit ihren 458,000 Einw. Ende 1858 bestand. Unter dem jetzt regierenden Kaiser Wilhelm ist B. durch die Aufnahme eines großen Teils der Vorstädte in seine Mauern (die weggerissen worden sind) bedeutend vergrößert und durch zahlreiche Prachtbauten (besonders während der 70er Jahre), ferner die Zuschüttung der alten Festungsgräben sowie den Bau der Stadtbahn in seinem Aussehen völlig umgestaltet worden. Die neueste Entwickelung Berlins ist in die Darstellung seiner heutigen Erscheinung (s. oben) verwoben worden, worauf daher hier verwiesen werden muß. Seine neueste Geschichte läßt sich nicht von der des preußischen Staats trennen. Doch verdient, abgesehen davon, daß B. 1871 auch Hauptstadt des Deutschen Reichs wurde, Erwähnung, daß in B. 13. Juli 1878 der Berliner Friede (s. Berliner Kongreß) unterzeichnet wurde, welcher die politischen Verhältnisse der griechischen Halbinsel und in Armenien neu ordnete. Vom November 1884 bis Ende Februar 1885 tagte daselbst die Konferenz über die Congofrage (s. Congokonferenz).
Litteratur: "Berlin und seine Entwickelung. Städtisches Jahrbuch für Volkswirtschaft und Statistik" (seit 1867; seit 1874 u. d. T.: "Statistisches Jahrbuch der Stadt B.", hrsg. von R. Böckh); Böckh, Die Bevölkerungs- und Wohnungsaufnahme vom 1. Dez. 1880 in der Stadt B., Heft 1 (Berl. 1883); Derselbe, Die Bewegung der Bevölkerung der Stadt B. in den Jahren 1869-78 (das. 1884); "Verwaltungsbericht des königlichen Polizeipräsidiums von B. für die Jahre 1871-80" (das. 1882), über die Gemeindeverwaltung der Stadt B. von 1861 bis 1876 (das. 1881), derselbe von 1877 bis 1881 (das. 1884); Reuter, Das militärische B. (das. 1873); Rigler, Das medizinische B. (das. 1873); "B. und seine Bauten" (hrsg. vom Architektenverein, das. 1877); Friedel, Die deutsche Kaiserstadt B. (Leipz. 1882); Ring, Die deutsche Kaiserstadt B. (Prachtwerk, das. 1883, 2 Bde.); Dominik, Quer durch und rings um B. (Berl. 1883); "Der richtige Berliner in Wörtern und Redensarten" (4. Aufl., das. 1882).
Zur Geschichte Berlins vgl. die "Publikationen des Vereins für die Geschichte Berlins": 1) Folioschriften (Lfgn. 1-23), 2) Oktavschriften (Heft 1-21), 3) "Mitteilungen" (Zeitschrift, seit 1884); "Der Bär" (Zeitschrift, seit 1875); Nicolai, Beschreibung von B. und Potsdam (Berl. 1786, 3 Bde.); Wilken, Zur Geschichte von B. und seinen Bewohnern (historisch-genealogischer Kalender, das. 1820-23); Fidicin, Historisch-diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt B. (das. 1837-42, 5 Bde.); Derselbe, B., historisch und topographisch (2. Ausg., das. 1852); Streckfuß, B. seit 500 Jahren, Geschichte und Sage (das. 1863-65, 4 Bde.); Derselbe, B. im 19. Jahrhundert (das. 1867-69, 4 Bde.); Woltmann, Die Baugeschichte Berlins (das. 1872); Rosenberg, Die Berliner Malerschule (das. 1879); Schwebel, Kulturhistorische Bilder aus der deutschen Reichshauptstadt (Leipz. 1882); Derselbe, Renaissance und Rokoko, Abhandlungen zur Kulturgeschichte der deutschen Reichshauptstadt (Minden 1884).

Berlin - s0752a Berlin Maßstab 1 : 31 000 6451 MeyA4B2 Meyers Konversations-Lexikon Zweiter Band Jahr 1885.

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